Manche Zeitgenossen empfinden die
hiesige Steuerbelastung als exorbitant und träumen von einer radikalen
Lösung: Ähnlich wie beim Austritt aus der Kirche oder aus einem Verein
sollte es doch möglich sein, sich bei der Einwohnerkontrolle offiziell
abzumelden und künftig etwas mehr Zeit als bisher irgendwo im Ausland zu
verbringen. Das dürfte der Steuerpflicht ein Ende setzen, dem
Portemonnaie helfen und der schweizerische Fiskus braucht nicht zu
wissen, ob man sich permanent in einem sonnigen Steuerparadies mit gutem
Essen niederlässt oder wie ein Nomade von einer Destination zur nächsten
herumreist.
Die Kandidaten sollten es sich
allerdings besser zweimal überlegen. Den schweizerischen Steuerbehörden,
welche im Prinzip die Zahl der Zahlenden maximieren wollen, sind
Steuerflüchtlinge ein Dorn im Auge. Der formelle Check-out wird zwar in
den Steuerakten der Emigranten registriert. Dem Fiskus geht aber der
Atem noch lange nicht aus. Er hat meistens Wege und Mittel, die
Bewegungen der Abgemeldeten zu observieren. Und auf der
steuerjuristischen Ebene hat er zwei gerichtlich erprobte Zangen, um
Möchtegern-Expatriates wieder "heim ins Reich" zu ziehen. Bei der einen
geht es um den Mittelpunkt der Lebensinteressen, der auch nach dem
Wegzug immer noch in der Schweiz geortet werden kann. Und bei der
anderen um die Fiktion des Fortbestehens des schweizerischen Wohnsitzes,
bis nachweislich ein echter neuer Wohnsitz anderswo begründet wird.
Mittepunkt der Lebensinteressen
Die Hypothek der verbleibenden
Beziehungen zur Schweiz illustriert das Urteil des Bundesgerichtes vom
7. Mai 2014. Ein von Rückenschmerzen geplagter IV-Rentner aus dem Wallis
meldete sich im Herbst 2010 schriftenpolizeilich bei seiner
Wohnsitzgemeinde ab und dislozierte nach Thailand. Und zwar – was ihm
dummerweise zum Verhängnis werden sollte und im Kontrast zu vielen
anderen Europäern im besten Alter - eben nicht mit dem Ziel, dort bei
einer Thai-Schönheit anzudocken. Er hatte kurz vorher seine langjährige
Lebenspartnerin geheiratet, eine Walliserin. Sie behielt ihren
schweizerischen Wohnsitz, um weiterhin ihrer Vollzeit-Erwerbstätigkeit
nachzugehen. Denn das Geld des Ehemannes hätte für beide nicht gereicht.
Die Ehe auf Distanz funktionierte in der
Folgezeit so, dass sich der Ehemann zwar mehrheitlich in Thailand
aufhielt (7 Monate im Jahr), zu einem grossen Teil aber auf Besuch bei
der Ehefrau in der Schweiz (5 Monate im Jahr). Die Ehefrau verbrachte
berufsbedingt die meiste Zeit in der Schweiz (10 Monate im Jahr) und –
weil ihre Ferienreserven limitiert waren – nur deutlich weniger Zeit auf
Besuch beim Ehemann in Thailand (2 Monate im Jahr).
Die Walliser Steuerbehörden lehnten es
ab, den formell Weggezogenen aus dem Steuerregister zu streichen. Der
Fall kam vors Bundesgericht. Der Ehemann machte geltend, dass sein
gewöhnlicher Aufenthalt seit dem Wegzug in Thailand – seiner
Wunschdestination, wo es dank warmem Klima seinem Rücken besser gehe –
zu lokalisieren sei, womit seine schweizerische Steuerpflicht ihr Ende
finden müsse.
Die Bundesrichter machten sich
allerdings auf die Suche nach dem Mittelpunkt seiner Lebensinteressen.
Sie malten sich nach allgemeiner Lebenserfahrung aus, dass seine
sozialen Kontakte in Thailand schon aus sprachlichen Gründen kaum
wirklich robust sein können und übertrumpft werden dürften durch die
Intensität seiner Beziehungen zur Schweiz. Einerseits zu seinem grossen
Verwandten- und Bekanntenkreis im Wallis, primär aber zu seiner Ehefrau.
Denn eheliche Beziehungen sind bei der Ortung des Lebensmittelpunktes
immer wieder von zentraler Bedeutung und stark zu gewichten, speziell im
Fall von Frischvermählten. Bei Hervorhebung der gemeinsam mit der
Ehefrau verbrachten Zeit (5 Monate in der Schweiz versus 2 Monate in
Thailand) siegte die Schweiz relativ deutlich mit mindestens 5:2 und der
Ehemann wurde zur Zahlung der schweizerischen Steuern verurteilt.
Fiktiver Wohnsitz
Doch selbst der nahezu vollständige
Abbruch aller Brücken zur Schweiz ist noch keine Garantie für ein Ende
der schweizerischen Steuerpflicht. Das Zivilgesetzbuch bestimmt in Art.
24/1, dass der einmal begründete Wohnsitz einer Person bis zum Erwerb
eines neuen Wohnsitzes bestehen bleibt ("fiktiver Wohnsitz"). Diese
Bestimmung wirkt sich auch auf das Steuerrecht aus.
Das erlebte ein lediger Zürcher mit
Affinität zum Militär, der sich Mitte 2006 für ein Engagement in den
Friedenstruppen der Schweizer Armee entschied. Es kam zur Anstellung
durch das Kompetenzzentrum SWISSINT (Swiss Armed Forces International
Command) und auf den Single wartete eine ununterbrochene Serie von
Missionen in allen möglichen Krisenzonen dieser Welt. Er war mehrere
Jahre lang fast hundertprozentig landesabwesend. In der Schweiz hielt er
sich während dieser Zeit im Schnitt nur zehn Tage pro Jahr auf, um kurz
seinen Vater zu besuchen, bei Bundesbehörden zu rapportieren oder zur
Einsatzvorbereitung.
Die Zürcher Steuerbehörden beriefen sich
auf Fortbestand des schweizerischen Steuerwohnsitzes und das
Verwaltungsgericht entschied zu ihren Gunsten (Urteil vom 20. August
2014). Es wurde zwar anerkannt, dass der Friedenskämpfer seine
Verbindungen zur Schweiz auf ein Minimum schrumpfen liess. Und sich
andererseits um Integration in das Leben seines jeweiligen Gastlandes
bemühte, indem er nie in einer Kaserne sondern immer in eigenen
Mietwohnungen lebte, lokale Restaurants, Fitnessclubs und Strände
frequentierte, die Landessprachen zu lernen versuchte und Kontakte zu
Einheimischen pflegte. Den Ausschlag gab freilich das Argument, dass die
gemäss Zivilgesetzbuch für die Begründung eines neuen Wohnsitzes
erforderliche "Absicht dauernden Verbleibens" kaum gegeben sein kann bei
Aufenthalten mit politisch-militärischem Hintergrund, bei denen der
Aufenthaltsort und die Aufenthaltsdauer dem freien Entscheid des
Betroffenen entzogen sind. Weil sie in erster Linie durch den
Arbeitgeber (Führungsstab der Schweizer Armee) beziehungsweise durch
geopolitische Notwendigkeiten bestimmt werden.
Steuerlich zurückgeholt wurde auch ein
Münchensteiner, der sich Anfang 2005 beim kommunalen Einwohnerdienst
abgemeldet und als neue Adresse tollkühn "Weltenbummler" angegeben
hatte. Er verliess dann die Schweiz mit Sack und Pack um jahrelang auf
seinem ozeantüchtigen Segelschiff im Zickzack auf den Weltmeeren
herumzukurven. Dies ohne Absicht, seinen Lebensstil in absehbarer
Zukunft aufzugeben und in die Schweiz zurückzukehren. Seine Ehefrau
blieb in Münchenstein. Sie besuchte ihn gelegentlich auf dem Schiff oder
traf ihn in einem Hafen.
Das Bundesgericht nahm dem modernen
Käpt'n Nemo Wind aus dem Spinnaker und entschied im Urteil vom 4. Mai
2012, dass er trotz Landesabwesenheit in Münchenstein ansässig und
steuerpflichtig bleibt. "Auf hoher See" oder generell "auf Reisen" fehlt
das Element des längeren Verweilens auf einem festen Punkt der Erde, das
für die Begründung eines neuen Wohnsitzes unverzichtbar ist. Zumindest
vor dem Fiskus musste der sturmerprobte Dauerreisende damit die Segel
streichen.
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