Mit dem neuen
Rechnungslegungsrecht wurde die Stellung der Minderheitsaktionäre
wesentlich gestärkt. So können sie vermehrte Transparenz und
Informationen zum Geschäftsgang einfordern. Die Ausschüttung von
Dividenden unterliegt aber weiterhin dem Mehrheitsbeschluss.
Das neue, 2013 eingeführte
Rechnungslegungsrecht, ist im Wesentlichen rechtsformunabhängig und muss
von den Unternehmen spätestens seit Beginn dieses Jahres umgesetzt
werden. Mit den neuen Rechnungslegungsvorschriften hat sich die Stellung
der Minderheitsaktionäre wesentlich verändert, was von einer breiten
Aktionärs-Öffentlichkeit allerdings noch kaum wahrgenommen wurde. Die
Verbesserungen aus Sicht der Minderheitsaktionäre sollen aufgrund eines
Fallbeispiels erläutert werden.
Wie es bisher war
Xaver Müller gründete 1980 die
Schreinereiunternehmung Xaver Müller AG, welche mittlerweile zwei
Tochtergesellschaften hat. Die Aktien wurden im Rahmen der
Nachfolgeregelung 2005 an die Kinder übertragen. Fritz Müller, Xavers
ältester Sohn, ist seit 2000 in der Unternehmung tätig und ist seit der
Nachfolge im Besitz von 80 Prozent der Aktien der Xaver Müller AG. Seine
beiden Geschwister, Maya Müller und Leo Müller, haben im 2005 je 10
Prozent der Aktien erhalten. Maya ist als Sprachlehrerin tätig und Leo
arbeitet als Elektroingenieur. Fritz ist seit je her überzeugt, dass
seine Geschwister nichts zum guten Gelingen der Unternehmung beitragen
können und ist daher einziger Verwaltungsrat. Die persönliche Beziehung
zu seinen Geschwistern ist ebenfalls angespannt. Die Generalversammlung
erachtet er als gesetzlich notwendiges Übel.
Gesetzeskonform hat Fritz
seine Geschwister jeweils zur Generalversammlung eingeladen, wobei der
Anlass für die beiden Geschwister jeweils höchst unbefriedigend war. Die
Unternehmung, welche mittlerweile 120 Mitarbeitende beschäftigt, zeigt
Jahr für Jahr einen Reingewinn von rund 100‘000 Franken. Auf die
Ausschüttung einer Dividende wurde jeweils verzichtet. Seit Jahren
wünschen Maya und Leo mehr Informationen zum Geschäftsgang. Insbesondere
wollten sie wissen, wie hoch die tatsächlichen Gewinne der Unternehmung
und der beiden Tochtergesellschaften waren. Schon fast genüsslich
antwortete Fritz jeweils: „Liebe Maya, lieber Leo: Die Jahresrechnung
entspricht Gesetz und Statuten und wurde von unserer Revisionsstelle
geprüft. Den Revisionsstellenbericht, der wie immer keine
Einschränkungen enthält, habe ich euch bekanntlich rechtzeitig zur
Verfügung gestellt. Wie ihr wisst, ist der Verwaltungsrat für die
Jahresrechnung verantwortlich. Als Verwaltungsrat bin ich nicht
verpflichtet, euch über den Bestand und die Erhöhung der stillen
Reserven Auskunft zu geben. Aufgrund unserer Grösse müssen wir zudem
keine konsolidierte Jahresrechnung erstellen. Gibt es weitere Fragen“?
Schutzbestimmungen
und mehr Einblick
Die Situation, wie oben
beschrieben, ist für die beiden Minderheitsaktionäre unbefriedigend. Im
neuen Rechnungslegungsrecht wird zwar geregelt, dass die Jahresrechnung
die wirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen soll, dass sich
Dritte ein „zuverlässiges“ Urteil bilden können. Da jedoch auch nach
neuem Rechnungslegungsrecht stille Reserven erlaubt sind, kann die
Jahresrechnung weiterhin verschleiert werden. Die neuen
Gesetzesbestimmungen gewähren den Minderheitsaktionären indes
verschiedene Schutzbestimmungen. Dazu braucht es je nach Situation die
Vertretung von mindestens 10 % oder 20 % des Grundkapitals.
Im beschriebenen Fallbeispiel
halten Maya und Leo je 10 % der Aktien. Ihnen stehen neu die folgenden
Rechte zu:
Erstellung einer
Jahresrechnung, welche den Rechnungslegungsvorschriften für grössere
Unternehmen entspricht (erforderliches Quorum: 10 Prozent): Maya
oder Leo kann verlangen, dass die Xaver Müller AG die gleichen
Rechnungslegungsvorschriften einhalten muss, wie sie für „grössere
Unternehmen“ gelten. Als grössere Unternehmen gelten Organisationen,
welche zwei der nachfolgenden Kriterien überschreiten: Bilanzsumme 20
Mio. Franken, Umsatz 40 Mio., 250 Vollzeitstellen. Grössere Unternehmen
müssen zusätzlich zur Bilanz, Erfolgsrechnung und Anhang u.a. eine
Geldflussrechnung und einen Lagebericht erstellen. Der Lagebericht muss
dabei über die Anzahl Vollzeitstellen, die Risikobeurteilung, die
Bestell- und Auftragslage, die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit,
aussergewöhnliche Ereignisse sowie über die Zukunftsaussichten Auskunft
geben.
Erstellung des
Einzelabschlusses nach einem anerkannten Standard (erforderliches Quorum
20 Prozent): Maya kann zusammen mit Leo verlangen, dass die Xaver
Müller AG einen Jahresabschluss nach einem sogenannt „anerkannten
Standard“ erstellt wird. Als anerkannte Standards zur Rechnungslegung
gelten Swiss GAAP FER, IFRS und US-GAAP. Es wird dem Verwaltungsrat
überlassen, welchen dieser Standards er anwenden möchte. Aufgrund der
Komplexität von IFRS und US-GAAP dürfte die Wahl auf Swiss GAAP FER
fallen. Ein Abschluss nach anerkanntem Standard muss ein den
„tatsächlichen“ Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-,
Finanz- und Ertragslage zeigen. Fritz muss somit die Jahresrechnung frei
von Verschleierungen durch stille Reserven zeigen. Die Aussagekraft der
Jahresrechnung ist somit deutlich höher.
Erstellung einer
Konzernrechnung (erforderliches Quorum 20 Prozent): Im Rahmen einer
Konzernrechnung wird die Xaver Müller AG mit seinen beiden
Tochtergesellschaften so dargestellt, als wären die drei Gesellschaft
eine einzige Organisation. Die Xaver Müller AG kann grundsätzlich
aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen auf eine Konzernrechnung
verzichten, sofern zwei der bereits erwähnten Kriterien nicht
überschritten werden: Bilanzsumme 20 Mio. Franken, Umsatz 40 Mio., 250
Vollzeitstellen.
Mit dem neuen Rechnungslegungsrecht wird Maya und Leo das Recht
eingeräumt, eine Konzernrechnung zu verlangen. Dadurch haben sie auch
Einblick in die Geschäftstätigkeit der beiden Tochtergesellschaften,
welcher ihnen bis anhin verwehrt blieb.
Erstellung einer
Konzernrechnung nach einem anerkannten Standard (erforderliches Quorum
20 Prozent): Es geht noch weiter! Die beiden Minderheitsaktionäre
können zusammen vom Recht Gebrauch machen, dass die verlangte
Konzernrechnung nach einem anerkannten Standard erstellt wird. D.h. der
konsolidierte Abschluss muss nach den Bestimmungen von Swiss GAAP FER
oder allenfalls IFRS oder US-GAAP erstellt werden.
Die den Minderheitsaktionären
gesetzlich eingeräumten Rechte stellen ein Gegengewicht der nicht
mitarbeitenden Aktionäre zum Informationsvorsprung und zur faktischen
Alleinherrschaft der Unternehmensführung dar. Maya und Leo haben nun
zwar die Möglichkeit, eine Jahresrechnung zu verlangen, die viel
detaillierter Auskunft gibt und deren Zahlen den Tatsachen entsprechen.
Ein gesetzlich verankertes Recht auf Dividende bleibt ihnen jedoch nach
wie vor verwehrt, da die Gewinnausschüttung wie bis anhin aufgrund eines
Mehrheitsbeschlusses bestimmt wird.
Fritz dürfte gut beraten sein,
die beiden Minderheitsaktionäre inskünftig zuvorkommend zu behandeln, da
eine von ihm nicht gewünschte, von den Minderheitsaktionären jedoch
geforderte Erstellung einer Konzernrechnung nach einem anerkannten
Standard mit beachtlichem Zeit- und Geldaufwand verbunden wäre!
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