Region Basel / Beiträge 2015
  
 

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Philipp Hammel


Prof., dipl. Wirtschaftsprüfer
Geschäftsführender Partner der TRETOR AG, Liestal

Professor an der FHNW, Hochschule für Wirtschaft, Basel

E-Mail: philipp.hammel@tretor.ch

 

 

    

  Rechnungslegungsrecht

Verbesserung des Minderheitenschutzes

 

 
 

Mit dem neuen Rechnungslegungsrecht wurde die Stellung der Minderheitsaktionäre wesentlich gestärkt. So können sie vermehrte Transparenz und Informationen zum Geschäftsgang einfordern. Die Ausschüttung von Dividenden unterliegt aber weiterhin dem Mehrheitsbeschluss.

Das neue, 2013 eingeführte Rechnungslegungsrecht, ist im Wesentlichen rechtsformunabhängig und muss von den Unternehmen spätestens seit Beginn dieses Jahres umgesetzt werden. Mit den neuen Rechnungslegungsvorschriften hat sich die Stellung der Minderheitsaktionäre wesentlich verändert, was von einer breiten Aktionärs-Öffentlichkeit allerdings noch kaum wahrgenommen wurde. Die Verbesserungen aus Sicht der Minderheitsaktionäre sollen aufgrund eines Fallbeispiels erläutert werden.

Wie es bisher war

Xaver Müller gründete 1980 die Schreinereiunternehmung Xaver Müller AG, welche mittlerweile zwei Tochtergesellschaften hat. Die Aktien wurden im Rahmen der Nachfolgeregelung 2005 an die Kinder übertragen. Fritz Müller, Xavers ältester Sohn, ist seit 2000 in der Unternehmung tätig und ist seit der Nachfolge im Besitz von 80 Prozent der Aktien der Xaver Müller AG. Seine beiden Geschwister, Maya Müller und Leo Müller, haben im 2005 je 10 Prozent der Aktien erhalten. Maya ist als Sprachlehrerin tätig und Leo arbeitet als Elektroingenieur. Fritz ist seit je her überzeugt, dass seine Geschwister nichts zum guten Gelingen der Unternehmung beitragen können und ist daher einziger Verwaltungsrat. Die persönliche Beziehung zu seinen Geschwistern ist ebenfalls angespannt. Die Generalversammlung erachtet er als gesetzlich notwendiges Übel.

Gesetzeskonform hat Fritz seine Geschwister jeweils zur Generalversammlung eingeladen, wobei der Anlass für die beiden Geschwister jeweils höchst unbefriedigend war. Die Unternehmung, welche mittlerweile 120 Mitarbeitende beschäftigt, zeigt Jahr für Jahr einen Reingewinn von rund 100‘000 Franken. Auf die Ausschüttung einer Dividende wurde jeweils verzichtet. Seit Jahren wünschen Maya und Leo mehr Informationen zum Geschäftsgang. Insbesondere wollten sie wissen, wie hoch die tatsächlichen Gewinne der Unternehmung und der beiden Tochtergesellschaften waren. Schon fast genüsslich antwortete Fritz jeweils: „Liebe Maya, lieber Leo: Die Jahresrechnung entspricht Gesetz und Statuten und wurde von unserer Revisionsstelle geprüft. Den Revisionsstellenbericht, der wie immer keine Einschränkungen enthält, habe ich euch bekanntlich rechtzeitig zur Verfügung gestellt. Wie ihr wisst, ist der Verwaltungsrat für die Jahresrechnung verantwortlich. Als Verwaltungsrat bin ich nicht verpflichtet, euch über den Bestand und die Erhöhung der stillen Reserven Auskunft zu geben. Aufgrund unserer Grösse müssen wir zudem keine konsolidierte Jahresrechnung erstellen. Gibt es weitere Fragen“?

Schutzbestimmungen und mehr Einblick

Die Situation, wie oben beschrieben, ist für die beiden Minderheitsaktionäre unbefriedigend. Im neuen Rechnungslegungsrecht wird zwar geregelt, dass die Jahresrechnung die wirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen soll, dass sich Dritte ein „zuverlässiges“ Urteil bilden können. Da jedoch auch nach neuem Rechnungslegungsrecht stille Reserven erlaubt sind, kann die Jahresrechnung weiterhin verschleiert werden. Die neuen Gesetzesbestimmungen gewähren den Minderheitsaktionären indes verschiedene Schutzbestimmungen. Dazu braucht es je nach Situation die Vertretung von mindestens 10 % oder 20 % des Grundkapitals.

Im beschriebenen Fallbeispiel halten Maya und Leo je 10 % der Aktien. Ihnen stehen neu die folgenden Rechte zu: 

Erstellung einer Jahresrechnung, welche den Rechnungslegungsvorschriften für grössere Unternehmen entspricht (erforderliches Quorum: 10 Prozent): Maya oder Leo kann verlangen, dass die Xaver Müller AG die gleichen Rechnungslegungsvorschriften einhalten muss, wie sie für „grössere Unternehmen“ gelten. Als grössere Unternehmen gelten Organisationen, welche zwei der nachfolgenden Kriterien überschreiten: Bilanzsumme 20 Mio. Franken, Umsatz 40 Mio., 250 Vollzeitstellen. Grössere Unternehmen müssen zusätzlich zur Bilanz, Erfolgsrechnung und Anhang u.a. eine Geldflussrechnung und einen Lagebericht erstellen. Der Lagebericht muss dabei über die Anzahl Vollzeitstellen, die Risikobeurteilung, die Bestell- und Auftragslage, die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit, aussergewöhnliche Ereignisse sowie über die Zukunftsaussichten Auskunft geben.  

Erstellung des Einzelabschlusses nach einem anerkannten Standard (erforderliches Quorum 20 Prozent): Maya kann zusammen mit Leo verlangen, dass die Xaver Müller AG einen Jahresabschluss nach einem sogenannt „anerkannten Standard“ erstellt wird. Als anerkannte Standards zur Rechnungslegung gelten Swiss GAAP FER, IFRS und US-GAAP. Es wird dem Verwaltungsrat überlassen, welchen dieser Standards er anwenden möchte. Aufgrund der Komplexität von IFRS und US-GAAP dürfte die Wahl auf Swiss GAAP FER fallen. Ein Abschluss nach anerkanntem Standard muss ein den „tatsächlichen“ Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zeigen. Fritz muss somit die Jahresrechnung frei von Verschleierungen durch stille Reserven zeigen. Die Aussagekraft der Jahresrechnung ist somit deutlich höher.
 

Erstellung einer Konzernrechnung (erforderliches Quorum 20 Prozent): Im Rahmen einer Konzernrechnung wird die Xaver Müller AG mit seinen beiden Tochtergesellschaften so dargestellt, als wären die drei Gesellschaft eine einzige Organisation. Die Xaver Müller AG kann grundsätzlich aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen auf eine Konzernrechnung verzichten, sofern zwei der bereits erwähnten Kriterien nicht überschritten werden: Bilanzsumme 20 Mio. Franken, Umsatz 40 Mio., 250 Vollzeitstellen.

Mit dem neuen Rechnungslegungsrecht wird Maya und Leo das Recht eingeräumt, eine Konzernrechnung zu verlangen. Dadurch haben sie auch Einblick in die Geschäftstätigkeit der beiden Tochtergesellschaften, welcher ihnen bis anhin verwehrt blieb.
 

Erstellung einer Konzernrechnung nach einem anerkannten Standard (erforderliches Quorum 20 Prozent): Es geht noch weiter! Die beiden Minderheitsaktionäre können zusammen vom Recht Gebrauch machen, dass die verlangte Konzernrechnung nach einem anerkannten Standard erstellt wird. D.h. der konsolidierte Abschluss muss nach den Bestimmungen von Swiss GAAP FER oder allenfalls IFRS oder US-GAAP erstellt werden.

Die den Minderheitsaktionären gesetzlich eingeräumten Rechte stellen ein Gegengewicht der nicht mitarbeitenden Aktionäre zum Informationsvorsprung und zur faktischen Alleinherrschaft der Unternehmensführung dar. Maya und Leo haben nun zwar die Möglichkeit, eine Jahresrechnung zu verlangen, die viel detaillierter Auskunft gibt und deren Zahlen den Tatsachen entsprechen. Ein gesetzlich verankertes Recht auf Dividende bleibt ihnen jedoch nach wie vor verwehrt, da die Gewinnausschüttung wie bis anhin aufgrund eines Mehrheitsbeschlusses bestimmt wird.

Fritz dürfte gut beraten sein, die beiden Minderheitsaktionäre inskünftig zuvorkommend zu behandeln, da eine von ihm nicht gewünschte, von den Minderheitsaktionären jedoch geforderte Erstellung einer Konzernrechnung nach einem anerkannten Standard mit beachtlichem Zeit- und Geldaufwand verbunden wäre!