Schreckgespenst Kapitaleinlageprinzip
Erfahrungsbericht aus der Praxis
Die grossen Einnahmenverluste, welche mit der Einführung des
Kapitaleinlageprinzips befürchtet wurden, sind nicht eingetreten. Damit
sind aber nicht alle Probleme beseitigt. Bei der konkreten Anwendung
bestehen nämlich diverse Tücken und Fallstricke, die tunlichst zu
beachten sind.
Die Einführung des Kapitaleinlageprinzips per 1.1.2011 hat hohe Wellen
geworfen. Der Bundesrat wurde kritisiert, die in der Bundesverfassung
verankerte Abstimmungsfreiheit durch seine lücken- und mangelhafte
Information über erwartete Steuerausfälle verletzt zu haben. Zwei Jahre
nach Einführung des Kapitaleinlageprinzips zeigt sich nun aber, dass die
erwarteten Mindereinnahmen nicht in der befürchteten Grössenordnung
eingetreten sind. Vielmehr könnten die durch das Kapitaleinlageprinzip
bewirkten Mehreinnahmen (aufgrund des Zuzugs ausländischer
Gesellschaften in die Schweiz) die Mindereinnahmen sogar kompensiert
haben. Zeit also, sich mit dem Kapitaleinlageprinzip zu arrangieren und
den Fokus auf dessen korrekte Anwendung in der Praxis zu richten.
Kapitaleinlageprinzip – die Grundsätze
Das Kapitaleinlageprinzip führt dazu, dass Zuschüsse von Gesellschaftern
in eine Aktiengesellschaft, GmbH oder Genossenschaft ohne Abzug der
Verrechnungssteuer zurückbezahlt werden können. Rückzahlungen von
Kapitaleinlagen unterliegen ausserdem nicht der Besteuerung beim
Gesellschafter, soweit es sich bei diesem um eine natürliche Person mit
Wohnsitz in der Schweiz handelt, welche die Gesellschaftsanteile im
Privatvermögen hält.
Viele Gesellschaften, insbesondere auch börsenkotierte Schweizer
Konzerne, haben seit dem 1. Januar 2011 vom Kapitaleinlageprinzip
Gebrauch gemacht und haben an Stelle von ordentlichen Dividenden (welche
der Verrechnungssteuer unterliegen und vom Aktionär in der privaten
Steuererklärung als steuerbarer Wertschriftenertrag deklariert werden
müssen) eine Rückzahlung von Kapitaleinlagen vorgenommen – zur Freude
ihrer Aktionäre.
Anwendung des Kapitaleinlageprinzips – ein Kinderspiel?
Damit ein Zuschuss eines Gesellschafters als Kapitaleinlage im
steuerlichen Sinn gilt, müssen verschiedene formale Voraussetzungen
erfüllt sein. Neben der korrekten Deklaration der Kapitaleinlagen auf
dem entsprechenden amtlichen Formular und der Einhaltung der
vorgegebenen Deklarationsfristen ist insbesondere die Verbuchung der
Kapitaleinlagen korrekt vorzunehmen.
Das Gesetz sieht vor, dass Kapitaleinlagen auf einem gesonderten Konto
im Eigenkapital (Konto „Kapitaleinlagereserve“) verbucht und ausgewiesen
werden. Das Konto „Kapitaleinlagereserve“ gehört zu den sogenannten
gesetzlichen Reserven und unterliegt spezifischen zivilrechtlichen
Bestimmungen, etwa was die Rückzahlung anbelangt.
Die korrekte Verbuchung und die zivilrechtlichen
Rückzahlungsbeschränkungen haben sich in der Praxis teilweise als
tückisch herausgestellt. Dies soll anhand zweier Beispiele illustriert
werden:
Beispiel 1
Die Alpha AG ist sanierungsbedürftig. Der Aktionär leistet einen
Zuschuss in Höhe von 20 Mio. Franken, den die Alpha AG erfolgswirksam
verbucht. Dadurch kann sie im betreffenden Geschäftsjahr einen Gewinn
ausweisen. Die Alpha AG ist der Ansicht, dass die 20 Mio. Franken als
Kapitaleinlage im steuerlichen Sinne gelten (Zuschuss vom Aktionär) und
deklariert den Betrag auf entsprechendem Formular.
Die Eidgenössische Steuerverwaltung anerkennt die 20 Mio. Franken nicht
als Kapitaleinlage. Begründung: Der Zuschuss wurde nicht direkt ins
Eigenkapital (d.h. in die Kapitaleinlagereserve) verbucht. Bei einer
Verbuchung des Zuschusses über die Erfolgsrechnung liegt keine
Kapitaleinlage im steuerlichen Sinne vor.
Das Unschöne an diesem Fall: Die 20 Mio. Franken unterliegen
gleichzeitig der Emissionsabgabe von 1 Prozent. Aus Sicht der
Emissionsabgabe spielt die Verbuchung (direkt ins Eigenkapital oder über
die Erfolgsrechnung) keine Rolle.
Beispiel 2
Die Beta AG hat ein Aktienkapital von 80 Mio. Franken und Reserven
(Gewinnvortrag) von 1 Mio. Franken. Der Aktionär der Beta AG leistet
einen Zuschuss von 30 Mio. Franken. Der Zuschuss wird korrekt in die
Kapitaleinlagereserve verbucht und gegenüber der Eidgenössischen
Steuerverwaltung deklariert.
Im folgenden Jahr benötigt der Aktionär Geld und möchte sich einen Teil
der Kapitaleinlagereserve von der Beta AG zurückzahlen lassen. Das
Aktienrecht macht ihm einen Strich durch die Rechnung: Gemäss einer
Bestimmung im Obligationenrecht darf nur jener Teil der gesetzlichen
Reserve (wozu die Kapitaleinlagereserve gehört) an den Aktionär
ausgeschüttet werden, welcher 50 Prozent des Aktienkapitals übersteigt
(sog. Ausschüttungssperre). Obwohl die Kapitaleinlagereserve also aus
steuerlicher Sicht steuerfrei ausgeschüttet werden könnte, ist die
Ausschüttung aus zivilrechtlicher Sicht nicht erlaubt, da die
gesetzliche Reserve (30 Mio. Franken) weniger als 50% des Aktienkapitals
(50 Prozent von 80 Mio. Franken = 40 Mio. Franken) ausmacht. Der
Aktionär muss sich das Geld auf alternativem Weg beschaffen.
Was lernen wir daraus?
Die beiden Beispiele machen deutlich, dass bei der Anwendung des
Kapitaleinlageprinzips Vorsicht geboten ist. Die Tücken liegen im Detail
und sollten jeweils vorgängig im Detail geprüft werden.
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