Das neue Rechnungslegungsrecht und der Wunsch nach Transparenz
Der diskrete Charme stiller Reserven
Die ursprünglichen Ideen zum Neuen Rechnungslegungsrecht zielten auf die
„gläserne Bilanz“, die tatsächliche Darstellung der Vermögens-,
Finanzierungs- und Ertragslage des Unternehmens. Im Laufe des
Gesetzgebungsprozesses hat sich das Glas aber eingetrübt, und man könnte
meinen, dass bei der Bewertung alles beim Alten geblieben sei.
Die Bewertungsprinzipien sind nun weitgehend vom bisherigen Aktienrecht
übernommen worden. Teilweise sind sie anders formuliert oder
hergeleitet. Über die Tragweite der wenigen Neuerungen (insbesondere
Grundsatz der Einzelbewertung sowie Bewertung von Aktiven „mit
beobachtbaren Marktpreisen“) ist sich die Fachwelt noch nicht einig.
Stille Reserven sind weiterhin zulässig. Ihre Bildung wird durch die
neuen Bestimmungen sogar gefördert: Zu Wiederbeschaffungszwecken sowie
„zur Sicherung des dauernden Gedeihens des Unternehmens“ dürfen
zusätzliche Abschreibungen und Wertberichtigungen vorgenommen werden.
Auch kann davon abgesehen werden, nicht mehr begründete Abschreibungen
und Wertberichtigungen aufzulösen (Art. 960a Abs. 4 OR).
Stille Reserven dürfen aber nur im Rahmen der im Gesetz vorgesehenen
Bewertungswahlrechte gebildet werden, keinesfalls durch völliges
Weglassen von Aktiven oder durch Verbuchung fiktiver Passiven.
Beispiel Rückstellungen
Je nach Interessenlage ist die Bildung von Rückstellungen ein „Müssen“
oder aber ein „Dürfen“:
Rückstellungen müssen gebildet werden, wenn aufgrund vergangener
Ereignisse ein Mittelabfluss droht, dessen Zeitpunkt und/oder Höhe noch
nicht genau bekannt sind.
Zusätzlich dürfen aber Rückstellungen gebildet werden für:
-
regelmässige Aufwendungen aus Garantieverpflichtungen;
-
Sanierungen von Sachanlagen;
-
Restrukturierungen;
-
die Sicherung des dauernden Gedeihens eines Unternehmens.
Insbesondere dieser letzte Punkt ist ein offensichtlicher Freipass für
Gewinnverschleierung, falls andere Massnahmen nicht zum Ziel führen.
Hinzu kommt, dass wie bis anhin nicht mehr benötigte Rückstellungen
nicht zwingend aufgelöst werden müssen. Sie könnten also bis in alle
Ewigkeit in der Bilanz stehen bleiben.
Viel Vorsicht, etwas mehr Transparenz
Die stillen Reserven dürfen weiterhin „still“ gebildet werden.
Allerdings dürfte eine erhöhte Transparenz geübte Leser auf ihre Spur
bringen: Neu müssen die Bewertungsgrundsätze sowie Details einzelner
Positionen von Bilanz und Erfolgsrechnung im Anhang der Jahresrechnung
offen gelegt werden. Wie bereits im bisherigen Aktienrecht muss auch
eine Nettoauflösung stiller Reserven im Anhang betragsmässig
gezeigt werden. Einzelunternehmen und Personengesellschaften können aber
auf einen Anhang verzichten und müssen deshalb auch die Reserveauflösung
nicht zeigen.
Was meint der Fiskus dazu?
Nach dem sogenannten Massgeblichkeitsprinzip stellt der
handelsrechtliche Abschluss die Basis dar für die steuerliche
Gewinnermittlung: Nur was verbucht wird, kann steuerlich auch geltend
gemacht werden. Wie es schon bekannte Praxis ist, werden die
Steuerbehörden die Bewertungsfreiheiten einzuschränken wissen: Sowohl
übersetzte Abschreibungen und Wertberichtigungen als auch übermässige
Rückstellungen werden nach den steuerlichen Normen überprüft werden. So
werden etwa die Rückstellungen für das dauerhafte Gedeihen des
Unternehmens dieser Beurteilung kaum standhalten. Da hier
definitionsgemäss kein konkretes, aus der Vergangenheit verursachtes
Risiko dahinter stehen dürfte, wird eine solche Rückstellung
handelsrechtlich als stille Reserve zu betrachten sein und steuerlich
aufgerechnet werden. Auch kann der Fiskus wirtschaftlich nicht mehr
gerechtfertigte Rückstellungen und Wertberichtigungen in dem Zeitpunkt
aufrechnen, wo der Grund dazu entfällt. Die bisher bekannten
Pauschallösungen wie etwa Warendrittel und pauschales Delkredere
bleiben aber zulässig.
Was gibt es zu beachten?
Für Unternehmen, die bereits jetzt nach den aktienrechtlichen
Vorschriften bilanzieren, wird die Bewertung auch in Zukunft weitgehend
in gewohnten Bahnen erfolgen können. Zu überprüfen sind aber Anpassungen
etwa im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Einzelbewertung und der
Bewertung zu beobachtbaren Marktwerten. Vor allem die übrigen
Rechtsformen, die neu dem Rechnungslegungsgesetz unterstellt werden,
sollten sich aber rechtzeitig damit auseinandersetzen und die Umstellung
planen. Stille Reserven müssen aber mit der Einführung der neuen
Bestimmungen nicht aufgelöst werden und dürften auch in Zukunft in
vielen schweizerischen Bilanzen schlummern.
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