Die
Initianten wollen die Steuerschraube scharf anziehen. Ihre Stossrichtung
ist: Wenn grössere Vermögen – mehr als zwei Millionen Franken –
verschenkt oder vererbt werden, dann sollen in Zukunft 20 Prozent an den
Staat fliessen. Und zwar unabhängig davon, ob die Beschenkten oder Erben
die eigenen Kinder, andere Verwandte oder Nichtverwandte sind. Nach wie
vor steuerfrei bleiben lediglich Vermögensverschiebungen zwischen
Ehegatten. Die neue Steuer wird auf der Ebene Bund erhoben. Sie ersetzt
alle bisherigen kantonalen Erbschafts- und Schenkungssteuern. Ein
Drittel des Ertrags fliesst an die Kantone. Zwei Drittel werden als
Quersubvention zur Sanierung der AHV eingesetzt.
Gegen den
Strich
Statistiken
belegen, dass die allermeisten Schenkungen und Erbschaften
(volumenmässig 80 bis 90 Prozent) innerhalb der engsten Familie bleiben.
Was die eine Generation an Vermögen anhäuft und nicht Zeit ihres Lebens
selbst verbraucht, will sie zur Hauptsache den nächsten Generationen
überlassen. Geschwister, entfernt Verwandte, Nichtverwandte oder
gemeinnützige Institutionen sind als Destinatäre rar. Hauptbetroffene
der neuen Steuer wären also die Kinder (und Kindeskinder).
Die
Erbschafts- und Schenkungssteuern sind in der Schweiz seit jeher eine
kantonale Domäne. In den meisten Kantonen erfassten sie früher auch die
Nachkommen, wenn auch zu moderaten Steuersätzen von selten mehr als 2
bis 5 Prozent. Die Besteuerung der Nachkommen wurde freilich – aus guten
Gründen – in den letzten Jahren fast überall abgeschafft; im Kanton
Baselland ab 2001 und im Kanton Basel-Stadt ab 2003. Im Moment gibt es
Erbschafts- und Schenkungssteuern für Nachkommen nur noch in
Appenzell-Innerrhoden, Neuenburg und Waadt, wo allerdings auch schon an
Plänen zur Streichung gearbeitet wird.
Bei der
Initiative geht es also um einen Einbruch in die kantonale Steuerhoheit
und die Wiedereinführung von Steuern, welche erst vor kurzem ausrangiert
wurden, damit das schweizerische Steuersystem familienfreundlich ist,
ohne verpönte Substanzsteuern auskommt und sich im grenzüberschreitenden
Wettbewerb der Steuerstandorte behaupten kann. Global ist ein Trend zur
völligen Abschaffung der Erbschafts- und Schenkungssteuern zu
beobachten. Jüngste europäische Beispiele sind Schweden und Österreich.
Fremdkörper im Steuersystem
Die
Initianten wollen der neuen Steuer die problematische Form einer
Nachlasssteuer geben. Steuerpflichtig soll – entgegen aller bisherigen
Praxis – nicht der einzelne Beschenkte oder Erbe sein, sondern der
Schenker oder Erblasser (formell: sein Nachlass). Es soll also keine
Rolle spielen, ob das elterliche Vermögen einem Einzelkind zufällt oder
unter einer Vielzahl von Geschwistern verteilt werden muss. Ausserdem
bleibt bei einer Konstruktion dieses Typs der Verwandschaftsgrad völlig
unberücksichtigt. Bis jetzt machten alle kantonalen Steuerordnungen beim
Tarif einen gewaltigen Unterschied, ob die Destinatäre eigene Kinder
oder beispielsweise Neffen zweiten Grades sind.
Absonderlich
ist auch die Fokussierung auf Personen, deren Vermögen die kritische
Grenze von zwei Millionen Franken übersteigt. Das sind in der Schweiz
vielleicht zwei oder drei Prozent der Bevölkerung. Mit dem Grundsatz der
Allgemeinheit der Besteuerung lässt sich so etwas kaum vereinbaren. Die
neue Steuer präsentiert sich in diesem Punkt – ein Beitrag zur
Neidkultur – als eine fragwürdige Reichensteuer.
Horrende
20 Prozent, perfide Rückwirkung
Die laut
Initiative in der Bundesverfassung festzuschreibenden 20 Prozent als
Einheitssatz wären eine auch im internationalen Vergleich beunruhigend
hohe Belastung. Die wenigsten der von der neuen Steuer latent
Betroffenen sind wohlhabende Faulenzer, welche nicht wissen, wohin mit
dem ganzen Geld. Insbesondere dort, wo das Familienvermögen in
Unternehmen, Immobilien, Kunstwerken usw. investiert ist, dürfte es
äusserst schwierig sein, bei jedem Generationenwechsel einen Aderlass
von 20 Prozent der Substanz zu verkraften. Die Initiative sieht zwar
vor, dass für Unternehmen und Landwirtschaftsbetriebe unter besonderen
Voraussetzungen gewisse Erleichterungen gelten sollen. Es ist allerdings
zu bezweifeln, ob sie wirklich zur Entspannung der Lage beitragen
werden.
Wie gross
die Angst vor den drohenden 20 Prozent ist, zeigt ein weiteres Element
der im September 2011 lancierten Initiative, nämlich deren
Rückwirkungsklausel. Obwohl die neue Steuer – falls sie sich überhaupt
durchsetzt – frühestens ab 2015 oder 2016 erhoben werden kann, soll sie
retroaktiv alle Schenkungen (nicht jedoch Erbschaften) ab 2012 erfassen.
Eine derartige Rückwirkung verstösst gegen elementare Grundregeln eines
Rechtsstaates. Weil aber die Initiative einen neuen Paragraphen in der
Bundesverfassung anpeilt und es in der Schweiz keine
Verfassungsgerichtsbarkeit gibt, lässt sich die Rückwirkung schwer vor
Gericht anfechten.
Jedenfalls
kam es im Herbst 2011 – die blosse Ankündigung der Initiative hatte
schon gereicht – bei schweizerischen Notariaten und Grundbuchämtern zu
einem Tsunami an Schenkungen. Wer konnte, überschrieb vor Jahresende
sein Hab und Gut auf die Kinder, solange es noch mit Garantie steuerfrei
war.
Milliarden gewonnen oder zerronnen?
Die
Initianten meinen, dass ihr Vorstoss dem Staat zusätzliche Einnahmen von
3 Milliarden Franken pro Jahr bringt. Das könnte sich freilich als Fata
Morgana erweisen. Denn die statische Berechnung beruht auf der Annahme,
dass die betroffenen Steuersubjekte auf die massive Anhebung der
Steuerpreise nicht reagieren und sich brav zur Kasse bitten lassen
werden.
Die
Schenkungswelle vom Herbst 2011 und Proteste in den Medien lassen
vermuten, dass die allgemeine Akzeptanz der propagierten neuen Steuer
ausgesprochen gering ist. Ihre Einführung würde ziemlich sicher zur
Folge haben, dass vermögenden Ausländern ein Grossteil der Lust auf
Zuzug in die Schweiz vergeht. Ausserdem ist zu erwarten, dass etliche
gute Steuerzahler aus dem Inland die Koffer packen und wegziehen würden,
um ihre vermögensmässige Nachfolge jenseits der Landesgrenze zu regeln,
von einem der ausländischen Standorte mit günstigeren Steuerbedingungen
aus.
Da die
Erbschaftssteuer naturgemäss nur einmal im Leben eines Steuerbürgers
anfällt, die laufenden Einkommens- und Vermögenssteuern aber jedes Jahr,
könnte die zu befürchtende Erosion des Steuersubstrats mit sich bringen,
dass sich die Steuereinnahmen per Saldo nicht erhöhen, sondern
vermindern. Die Erbschaftssteuer-Initiative würde dann niemandem dienen
und nur das Steuerklima unnötig vergiften.
|